„Mit so einem kleinen Stück Papier ändert sich dein ganzes Leben.“
Wie sah dein Weg nach Deutschland aus?
Als die Situation in Syrien zunehmend eskalierte, bin ich in den Libanon geflohen. Nach einem Jahr im Libanon habe ich mich an die UN gewendet. Das war 2013. Es gab zwischen der UN und Deutschland damals noch ein Programm, „Resettlement“ bzw. „Kontigentflüchtling“ hieß das. Da durfte ich nach Deutschland legal ausreisen. Sie haben mir einen Reisepass gegeben der für eine Reise gültig war. Das war für mich eine Lebensrettung. Ich wäre im Libanon fast gestorben.
Wie empfindest du – als Geflüchteter und als Journalist- die Medienberichterstattung über Flucht- und Immigrationsthemen?
Immer wenn ein Flüchtling was Schlimmes tut, fällt das auf uns alle zurück. In den Medien wird es zu Allgemein erzählt. „Die Flüchtlinge“, „die Kriminellen“ usw. Das spielt eine große Rolle. Denn die Stimmung gegen Flüchtlinge wird zunehmend schlimmer. Ich merke das selber und ich habe oft rassistische Situationen erlebt. Ich versuche es aber immer mit Humor zu nehmen, hoffentlich eskaliert das nicht irgendwann.
Politik versus Mitgefühl
Ich merke, dass im ganzen Land viele durchdrehen. Die AfD hat es nicht nur in den Bundestag geschafft, sie hat auch die restlichen Parteien in Richtung rechts gezogen. Sie reden jetzt alle von Abschiebung. Obwohl der Krieg in Syrien weiterhin besteht. Trotzdem haben sie die Grenze zugemacht. Obwohl jeden Tag in Syrien die Menschen dort Hilfe brauchen. Sie sind in Not, sie werden bombardiert. Sie müssen unter Bomber und im Krieg bleiben, weil alle Länder ihre Grenzen zugemacht haben. Die europäischen Länder wollen keinen Stress mehr, obwohl die Menschen in Syrien sterben. Die Politiker haben kein Mitgefühl. Sie mussten nie im Illegalen, im „Keller“ (i.e. im Untergrund) leben. Ich war ein Jahr lang in Libanon, habe dort im „Keller“ gelebt. Es war richtig, richtig scheiße. Da war ich immer in Gefahr, ich wurde ständig verfolgt. Ich wurde auch zweimal erwischt und bekam großen Ärger. Für siebzig Tage war ich dort im Gefängnis. Ein Leben mit ständigem Hin und Her.
Du empfindest es also auch so, dass der Rassismus schlimmer wird in Deutschland?
Ja. Ich höre viele Fälle von Rassismus von FreundInnen und Bekannten. Unser Kopf versucht immer die schlimmen Sachen zu normalisieren, damit man weiterleben kann. Für manche ist der Rassismus hierzulande normal. Und das ist die schlimme Sache. Zum Beispiel habe ich eine muslimische Familie in Bautzen getroffen und habe sie gefragt wie das Leben hier ist: „Ganz normal“ haben sie mir geantwortet. „Es gibt nichts Besonderes“. Ich habe sie gefragt, ob sie schon einmal angegriffen oder beschimpft wurden. „Ja, Beschimpfung ist normal. Das passiert jeden Tag. Aber das ist normal.“ haben sie gesagt. Der Mensch will und kann nicht im ständigen Stress leben. Daher versucht unser Gehirn Dinge, die sich ständig wiederholen als normal anzusehen, um nicht irgendwann durchzudrehen.
Du sagst, das Hauptproblem für viele Flüchtende oder geflüchtete Menschen sind die bürokratischen Hürden. Wie sieht das ganz praktisch aus, wie hast du das erlebt?
In Syrien haben die meisten Menschen keinen Reisepass. Der kostet viel und meist muss man vorher der Armee dienen. Und gerade jetzt, wo viele Behörden in Syrien geschlossen sind, ist es noch schwieriger, an offizielle Papiere zu kommen. Viele SyrerInnen wollen nicht nach Europa fliehen. Aber die einzige Möglichkeit, wohin man ohne Papiere kann und wie ein Mensch behandelt wird, ist Europa. Deshalb kommen so viele Menschen hierher. Ich kenne Menschen, die von Assads Armee desertiert sind. Sie leben im Jordan, Libanon, illegal. Sie können da nicht einmal ins Krankenhaus gehen, da sie keine Papiere haben. Zum Leben dort brauchen sie Dokumente. In Europa bekommen die Menschen einen Ausweis, können sich medizinisch versorgen lassen. Mit so einem kleinen Stück Papier ändert sich dein ganzes Leben.
Was wünschst du Dir an politischer und gesellschaftlicher Veränderung? Oder besser: Wie lauten deine Forderungen?
Angenommen es gäbe so etwas wie einen Flüchtlingsreisepass. Voraussetzung wäre natürlich, dass sich Länder dazu bereit erklären, die Menschen einreisen zu lassen. Dann könnten die Menschen, die fliehen selbst bestimmen wohin sie wollen. Malaysia, Südafrika, Brasilien, Kanada … Das ist nur ein Beispiel. Natürlich müssten die Länder da zustimmen. Zurzeit gibt es ungefähr dreißig Länder, die syrische BürgerInnen ohne Visum einreisen lassen. Aber man braucht einen Reisepass, um ausreisen zu können. Ohne diese Papiere fliehen viele nach Europa, denn hier bekommen sie einen Reisepass. Den Blauen oder Grauen. Damit kannst du ins Krankenhaus, kannst in die Türkei oder in ein anderes europäisches Land reisen. Mit so einem Flüchtlingsreisepass würden sich die Menschen mehr verteilen.
Würdest du wieder nach Syrien zurückgehen?
Wenn der Krieg vorbei ist, heißt das nicht, dass die Situation im Land entspannt sein wird. Assad hat zwei Gesichter. Europa präsentiert er sich als offener Mensch, ein netter Typ, gut gekleidet. Seine andere Seite ist aber, dass er mehr Menschen umgebracht hat als der IS. Er hat viele Leute gefoltert, er hat viele verhaftet. Auch mich, viermal insgesamt. Nur aus „journalistischen Gründen“. Auch wenn der Krieg irgendwann vorbei ist: Solange Assad an der Macht ist, wird sich in Syrien nichts ändern. Er wird die Menschen dort weiterhin schlecht behandeln.
Hier in Deutschland habe ich das erste Mal gemerkt, dass ich meinen Beruf als Journalist genießen kann. Man kann hier über alles berichten, über was man möchte. Auch wenn du kritisierst, wirst du gehört. Man kriegt keinen Ärger. Das ist ein großer Unterschied zu Syrien. Wenn ich dort etwas öffentlich kritisiert habe bin ich im Gefängnis gelandet. Hier in Deutschland habe ich bereits kritische Beiträge produziert, statt dass ich ins Gefängnis komme, habe ich hier sogar einen Preis bekommen.
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Veröffentlicht:
Verfasser*in: Rebecca Kupfner
by CadusPR
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Vor wenigen Tagen hat unser Team in Rafah, Gaza den tausendsten Patienten im Trauma Stabilisation Point (TSP, also ein Versorgungspunkt für Schwerverletzte) vom Palästinensischen Roten Halbmond (PRCS) versorgt. Fast ein Drittel unserer Patient*innen ist dabei unter 18 Jahre alt.