„Der rote Faden muss wieder zur roten Linie werden!“

Am 27.05.25 zogen wir und acht weitere in Gaza tätige humanitäre Hilfsorganisationen vor dem Auswärtigen Amt in Berlin eine „rote Linie“, um die Einhaltung des Völkerrechts zu fordern. Für uns ist klar: der Schutz von Zivilist*innen, medizinischem Personal und humanitärer Hilfe ist nicht verhandelbar! Wir dokumentieren hier unseren Redebeitrag auf der Kundgebung.

Liebe Kolleg*innen, liebe Journalist*innen,

wir stehen hier vor einer roten Linie – eine symbolische Grenze, vom humanitären Völkerrecht gezogen, die auch im Krieg nicht überschritten werden darf. Betrachten wir aber den Krieg in Gaza, so ist sie dort kaum noch erkennbar. Stattdessen ist es vor allem ein roter Faden der Verstöße und Brüche besagten Rechts geworden, der sich durch den Kriegsverlauf zieht.

Seit Februar 2024 sind wir von CADUS in Gaza im Einsatz. Seither wurden Krankenhäuser beschossen, Rettungskräfte getötet und die gesamte palästinensische Zivilbevölkerung in Kollektivhaft genommen für den schrecklichen Angriff der Hamas vom 07. Oktober.

Ich war erschreckt über das Ausmaß der Zerstörung im Gazastreifen, das noch weit darüber hinausging, was ich aufgrund all der Bilder bereits erwartet hatte und über das, was ich aus anderen Kriegsgebieten kenne. Besonders schlimm ist dabei, dass es keinerlei sicheren Orte mehr gibt, wohin die Zivilbevölkerung fliehen könnte. Überall und zu jederzeit muss man in Gaza damit rechnen beschossen zu werden.

Als Emergency Medical Team der WHO führt CADUS in Gaza unter anderem medizinische Evakuierungen durch. Bei meinem letzten Einsatz haben wir etwa eine junge Patientin transportiert, die durch Beton-Trümmer einen komplizierten Bruch erlitten hatte. Hätte sie zeitnah adäquate medizinische Versorgung erhalten, hätte sie ihr Bein eventuell behalten können, doch da es in Nord-Gaza zu wenig Antibiotika gab, hatte sich bereits eine gefährliche Entzündung gebildet und in Norwegen angekommen musste das Bein abgenommen werden – dennoch hatte dieses Mädchen noch Glück im Unglück.

Wir haben auch verletzte Kolleg*innen transportieren müssen und wir haben erlebt, dass Kolleg*innen getötet wurden. Noch immer sind wir schockiert von dem Vorfall, bei dem das israelische Militär 8 Mitarbeiter des Palästinensischen Roten Halbmonds getötet und anschließend selbst deren Fahrzeuge verscharrt hat. Der Fall liegt erst wenige Wochen zurück und dennoch sind in der Zwischenzeit schon wieder weitere PRCS Kollegen bei einem Luftschlag getötet worden, das ist die Realität dieses Krieges.

Erst vor wenigen Tagen war eines unserer Teams während eines Patiententransports im European Gaza Hospitals heftigem Beschuss ausgesetzt – trotz aufwändiger Abstimmung mit dem israelischen Militär! Dort wo ich selbst noch einige Wochen vorher während meines Einsatzes stand und mich mit meiner palästinensischen Kollegin Nermin unterhalten habe, klafft jetzt ein riesiger, mehrere Meter tiefer Krater. Schrapnelle schlugen nicht nur direkt vor unserem Rettungswagen ein, sondern durchschlugen auch das Dach des dahinter befindlichen Krankenhaus Gebäudes und blieben schließlich etwa im Kopfteil eines Patientenbetts stecken. Über 20 Menschen wurden getötet, dutzende verletzt.

Ein militärisches Ziel, das sich möglicherweise unter dem Krankenhaus befand, zu treffen, war den Entscheidungsträgern wichtiger, als das Leben zahlreicher Menschen – Patient*innen, Mitarbeiter*innen und humanitären Helfer*innen – im Krankenhaus, die weder von diesem mutmaßlichen Ziel noch von dem Angriff etwas ahnten.

Und genau das ist der rote Faden, den ich meine! Dem Ziel, die Hamas zu vernichten, wird die Gesundheit und Würde der Menschen in Gaza geopfert. Ob die verbliebenen Geiseln davon profitieren, wage ich zu bezweifeln.

Ruben Neugebauer für CADUS am Mikrofon während der Kundgebung vor
dem Auswärtigen Amt in Berlin.

In Gaza sehen wir uns zudem seit Beginn unseres Einsatzes damit konfrontiert, dass humanitäre Hilfe erschwert wird: Die beschränkte Einfuhr von Material, Einreisebeschränkungen, Abweisungen von Mitarbeiter*innen beim Grenzübertritt, Einschüchterung und Bedrohungen an Checkpoints, willkürlichen Absagen von Einsatzfahrten bis hin zu direktem Beschuss.

Nach Ende des Waffenstillstandes hat sich die Situation weiter verschärft, das Arbeiten innerhalb von Gaza ist noch gefährlicher geworden. Dank meinem Deutschen Pass, habe ich aber die Möglichkeit mich freiwillig für meinen Einsatz in Gaza zu entscheiden und vor allem: Gaza auch wieder zu verlassen. Für meine Kollegin Nermin gilt das nicht – sie sagte mir, dass sie und ihre Familie jeden Tag damit rechnen, dass es der Letzte sein könnte.

Wir sind heute hier, damit genau das nicht passiert. Wir sind hier, weil wir wollen dass Nermin, ihre Familie und all die anderen Zivilist*innen in Gaza, die mit dem Hamas-Terror nichts zu tun haben, überleben.

Wir sind hier, weil die israelische Regierung ihren internationalen Verpflichtungen nachkommen muss. Die Sicherheit für medizinische Einrichtungen, deren Personal und Rettungskräfte muss gewährleistet sein, die Bevölkerung muss geschützt und versorgt und der freie Zugang für humanitäre Hilfe muss garantiert werden – und zwar auf Grundlage der humanitären Prinzipien. Aufgrund der aktuellen Entwicklungen muss man das ja nochmal dazu sagen: Humanitäre Hilfe darf nicht benutzt werden um die Interessen einer Kriegspartei durchzusetzen, Hunger darf keine Waffe sein.

Die zu Recht hohen Maßstäbe des internationalen Völkerrechts muss auch Israel einhalten!
Der rote Faden muss wieder zur roten Linie werden – sofort!

Geschrieben von Ruben Neugebauer und Jonas Grünwald.

by CadusPR

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