Die Zukunft humanitärer Hilfe

Einen Text schreiben über die Zukunft der humanitären Hilfe. Mein erster Impuls: Das wird aber ein düsterer Text. Die Gegenwart der humanitären Hilfe lässt wenig Raum für Zuversicht. Kriege reißen nicht ab, im Sudan sterben Menschen unbeachtet von der Weltöffentlichkeit, in der Ukraine tobt der Krieg ohne Aussicht auf ein baldiges Ende, in Gaza wird Hunger bewusst als Waffe eingesetzt. Demokratien, die sich auf Menschenrechte berufen, verletzen sie offen, während Zivilgesellschaften sich über Konflikte zerfleischen, statt echte Empathie für alle Opfer aufzubringen. Deutschland kürzt währenddessen seine Mittel für humanitäre Hilfe und schafft gleichzeitig Asylrechte Schritt für Schritt ab. Und all das geschieht in einer Zeit, in der die Klimakatastrophe unaufhaltsam voranschreitet und bereits jetzt mehr Not, mehr Flucht und mehr Leid erzeugt, als das bestehende System bewältigen kann.

All diesen negativen Punkten zum Trotz: Es gibt auch immer wieder Licht am Ende dieses vermeintlich immer dunkler werdenden Tunnels.  

Da fällt mir vor allem ein, dass immer mehr Menschen daran interessiert sind, an den Verhältnissen etwas zu ändern, selbst aktiv zu werden und selbst etwas zu leisten. Menschen, die sich nicht abfinden wollen, sondern handeln. Initiativen, die Verantwortung übernehmen, wo klassische Strukturen versagen. Eine neue Aufmerksamkeit für Solidarität, die zeigt, dass Veränderung möglich bleibt.

Vielleicht hier, am Punkt des halbwegs mutigen, vorwärts schauenden Lächelns: Wie sieht die Gegenwart der humanitären Hilfe und der Katastrophenhilfe aus?

Eines ist Fakt: Wir haben seit Jahren zu wenig mobilisierbare, einsatzfähige Ressourcen für die meisten Katastrophen, allen voran die Kriege, die gerade toben. 2022 war ein großer Teil der klassischen Akteur*innen in der humanitären Katastrophenhilfe nicht bereit, in die Ukraine zu gehen, um der Zivilbevölkerung direkt zu helfen. Geld- und Sachspenden – ja. Lokale Partner*innenorganisationen unterstützen – solange sie im Rahmen dessen operieren, was von außen vorgegeben wird. Was wir tatsächlich gesehen haben, waren unfassbar viele Grassroots, die sich spontan gründeten und Hilfe nach bestem Wissen und Gewissen leisteten. Das ist keine Romantisierung und auch kein Aufruf zu „back to the roots“. Die Entwicklungen und Lehren der letzten Jahrzehnte sind viel zu wichtig, um sie aufzugeben. Die Frage ist vielmehr: Wen integrieren wir in die internationale humanitäre Hilfe und wie weitreichend? Wenn klassische Akteur*innen für bestimmte Herausforderungen nicht bereit sind, dann müssen wir die Integration jener fördern, die es sind. Dieses Umdenken betrifft vor allem die Förderlandschaften, die fast immer jahrelange Track Records und ausgefeilte Backoffice-Strukturen voraussetzen.

Klar ist auch: Es fehlen nicht nur Ressourcen, sie sind oft auch nicht auf das vorbereitet, was kommt. Weder die humanitäre Hilfe noch der Katastrophenschutz sind für die Anforderungen gewappnet, die der Klimawandel mit sich bringt. Während in Katastrophenschutz- Einheiten noch immer Großschadenslagen nach dem Modell der Nachkriegszeit trainiert werden, fehlen Ideen und Innovationen zum Schutz besonders vulnerabler Gruppen bei extremen Hitzeperioden. Das ist kein moralischer Vorwurf an die bestehenden Akteur*innen. Der Klimawandel hat alte Bedrohungen nicht ersetzt, sondern ist zu ihnen hinzugekommen. Aber die klassischen Strukturen haben weder die Kapazitäten noch die Innovationskraft, sich rechtzeitig darauf einzustellen.

Ein weiterer Punkt, der bislang kaum Beachtung findet: Der Zugang in die Katastrophenhilfe ist schlicht nicht mehr zeitgemäß. Er setzt meist eine starre zeitliche und räumliche Bindung voraus, die viele Menschen von vornherein ausschließt. Bei Fachfortbildungen zählt oft mehr die Loyalität zur Organisation als die fachliche und operative Eignung. Das geht an der Lebensrealität vieler vorbei und schafft unnötige Hürden. Auch beim Thema Inklusion hinkt der Katastrophenschutz hinterher. Wer nicht vollständig einsatztauglich ist, hat kaum Chancen, in anderen Rollen mitzuwirken. So bleibt wertvolles Engagement außen vor.

Wie sieht sie denn nun aus, die Zukunft der humanitären Hilfe und der Katastrophenhilfe?

Meiner Meinung nach braucht es auf vielen Ebenen ein Umdenken, deutlich mehr Offenheit und eine große Portion Innovation. Engagement darf nicht ins Leere laufen, sondern muss in konstruktive Bahnen gelenkt werden. Dafür müssen wir bereit sein, neue Gruppen und Initiativen einzubinden, solange sie sich an humanitäre Grundsätze halten. Wir brauchen Zugänge für Menschen mit Fachkenntnissen, die zu ihrem Alltag passen und nicht an tradierten Strukturen scheitern. Wir müssen Ausbildung und Training stärker digitalisieren, um Abhängigkeiten von Zeit und Ort aufzulösen. Wir müssen echte Inklusion lernen und praktizieren, damit Engagement nicht verloren geht. Und wir brauchen dringend neue Ausbildungs- und Einsatzkonzepte, die den Herausforderungen des Klimawandels und dem Rückzug staatlicher Verantwortung standhalten können.

Genau diese Herausforderungen sind es, die mir trotz allem Energie geben. Ich liebe es, neue Konzepte zu entwickeln – wie den Climate Emergency Responder, den ich gemeinsam mit meinem langjährigen Kollegen Ruben Neugebauer aufbauen konnte. Ich liebe es, in den Austausch zu gehen, mit Expert*innen aus Firmen und Universitäten zu diskutieren und mitzuerleben, wie viel Bereitschaft da ist, an neuen Wegen mitzuarbeiten. Und es begeistert mich, dass immer mehr Menschen ein Bewusstsein für diese Probleme entwickeln und Lust haben, sich einzubringen. 

Wir werden die eingangs erwähnten Probleme nicht lösen. Aber wir können sie zumindest als Herausforderung ansehen und dem Ohnmachtsgefühl etwas entgegensetzen: Humanitäre Hilfe und Katastrophenhilfe müssen dezentraler organisiert, offener und inklusiver gestaltet und innovativ umgesetzt werden. Und ich freue mich, hoffentlich bald einen Teil dazu beitragen zu können.

by Sebastian Juenemann

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