Last TSP standing!
Die Lage in Mossul bleibt weiterhin dramatisch. Sebastian mit einem eindringlichen Bericht aus unserem Trauma Stabilization Point in der umkämpften Stadt:
"Die letzten Tage waren für das Team wahnsinnig anstrengend. Der Strom an Patient*innen reißt nicht ab. Ein bisschen wundert es mich fast, da die Zahlen viel höher sind, als sie uns vorher von den anderen Trauma Stabilization Points (TSP) genannt wurden. Meistens sind es weit mehr als 30 Schwerverletzte, Zivilist*innen und Kombattanten die pro Tag bei uns auflaufen. Für viele kommt jede Hilfe zu spät, sie werden praktisch sterbend eingeliefert. Gerade die Menschen, die seit Wochen und Monaten innerhalb des IS-Gebietes gehungert und momentan auch kaum Wasser haben, verfügen über keinerlei Ressourcen mehr, um schlimme Verletzungen zu überstehen.
Für das Team ist vor allem hart, das wir auch immer wieder Kinder verlieren. Gestern Abend einen kleinen Jungen, der auf eine improvisierte Sprengfalle des IS getreten ist, als er mit seinem Bruder unterwegs war. Über eine halbe Stunde hat sein Bruder Hilfe gesucht, bis er zu unserem TSP gebracht wurde. Der kleine Junge hatte aber bis dahin schon so viel Blut verloren, dass unsere gemeinsamen Bemühungen erfolglos waren, und er trotz aller Reanimationsversuche nicht gerettet werden konnte.
Trotz aller Schwierigkeiten und Rückschläge lässt sich unser Team nicht entmutigen und gibt alles für die Versorgung der Verletzten. Foto: CADUS
Heute gefolgt von einem kleinen Mädchen, dessen Haus von einem Luftschlag der Anti-IS-Koalition getroffen wurde. Die Explosion hat die Lunge des Mädchens so schwer geschädigt, dass auch für sie unsere Hilfe erfolglos blieb. Niemand möchte sich so richtig anmerken lassen, wie sehr diese Einzelschicksale fressen, der/die nächste Patient*in wartet schon, das nächste Fahrzeug fährt schon vor, das wieder Verletzte bringt.
In den Pausen, wenn keine Menschen versorgt werden, und Zeit nach dem Aufräumen, Saubermachen und wieder Auffüllen des Verbrauchsmaterials bleibt, sieht man den Gesichtern aber die letzten Tage deutlich an. Es wird verabredet, zumindest nach den heftigsten Fällen zu versuchen, kurz eine Nachbesprechung möglich zu machen…wenn es die Einsatzlage denn zulässt.
Ein weiterer Patient wird in unserem TSP versorgt. Foto: CADUS
Am frühen Nachmittag kommt das Militär auf uns zu, zwei Medics könnten mit, es gäbe eine Menge Verletzte "weiter vorn". Kurze Absprache – dann bin ich mit einem unserer Kits für mass casualties zusammen mit dem Militär unterwegs. Wir vertrauen nicht darauf, dass Zivilist*innen und Soldaten tatsächlich die gleiche Priorität zugestanden wird, und wollen sichergehen, dass tatsächlich die am schwersten Verwundeten ihren Weg zu uns finden, unabhängig ihres Hintergrundes.
Auf dem Weg in Richtung Front kommen uns immer wieder größere Gruppen Refugees entgegen. Sie kommen aus den Teilen der Stadt, die die irakischen Truppen gerade heute befreit haben. Sie wirken ausgemergelt, unterernährt, abgekämpft. Die Blicke sind ziemlich gehetzt, jede*r trägt mit sich, was er oder sie tragen kann.
Vor Ort angekommen ist die Lage weniger dramatisch als befürchtet. Es sind fast nur wartende Zivilist*innen, unsere Sorge war diesmal nicht begründet. Kaum jemand ist "frisch" verletzt, aber alle tragen Spuren der Bombardierungen der letzten Tage. Wer noch laufen konnte wurde zu Fuß vorausgeschickt. Wir treffen hier nur auf die, die zu schwach oder in den letzten Tagen zu schwer verletzt wurden, um den Weg alleine zu schaffen. Zwei Straßen weiter wird heftig gekämpft, wir beeilen uns deswegen mit dem Einladen. Eine alte Frau fällt mir auf, die stoisch vor sich hinstarrt. Bei näherem Hinsehen bemerke ich, dass sich unter dem Tuch, dass sie über der Schulter trägt, ein offener Oberarmbruch verbirgt. Auf Nachfrage erfahre ich, dass die Verletzung schon zwei Tage alt ist. Unglaublich, was diese Menschen gerade durchstehen.
Wer noch gehen kann flieht vor den Gefechten in der Altstadt Mossuls. Foto: CADUS
Zurück in unserem TSP mache ich mich auf den Weg zum nächsten TSP, um neuen Sauerstoff zu besorgen und einige Dinge abzusprechen. Ich finde ihn leer vor, das Team der internationalen NGO ist weg. Auch der nächste TSP (insgesamt gibt es in Mossul außer unserem nur drei weitere) ist leer. Mir wird dort vom Militär gesagt, die NGO habe man nochmal nach Erbil geschickt, immerhin wären an diesem Frontabschnitt die Soldaten grade nur auf abwarten eingestellt. Ich verkneife mir die Diskussion, dass davon die vielen zivilen Verletzten auch nichts haben. Bevor ich den dritten TSP anfahre, bekomme ich einen Anruf und SMS von UN-OCHA (United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs) und WHO (World Health Organization) aus Erbil. Der dritte TSP sei heute umgezogen, man wisse gerade nicht genau, wo er jetzt sei. Weiterhin wäre eine Mörsergranate einen halben Kilometer vom Mossul General Hospital eingeschlagen, das ICRC (Rotes Kreuz) habe daraufhin sein Personal vorläufig aus Mossul abgezogen. Auch die Station von MSF France (Ärzte ohne Grenzen) sei weiterhin geschlossen, man stricke dort noch das Sicherheitskonzept um, mit einer Wiedereröffnung sei diese Woche noch nicht zu rechnen.
Die Wahrnehmung der realen Lage geht hier also so weit auseinander, dass für die einen die Lage zu ruhig ist, um hierzubleiben – für die anderen ist die Lage zu unübersichtlich und zu wenig einschätzbar, um zu bleiben. Gemeinsam ist dem nur eins, es heißt noch mehr Patient*innen für uns. Mossul General Hospital auf halber Kraft, 2 TSPs in der Auszeit, ein TSP unbekannt verzogen. Last TSP standing, würd ich sagen…mit dem Ausblick auf eine unruhige Nacht."
Für den Moment sind wir einer der letzten TSPs in Mossul. Die Menschen dort sind auf unsere Hilfe angewiesen. Und wir brauchen deine Unterstützung um die Kosten für die Versorgung der Kriegsopfer zu decken.
Veröffentlicht:
Verfasser*in: von Jonas Grünwald
by CadusPR
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