Ein medizinisches Team von CADUS zwischen zwei Rettungswagen.
Hoffentlich auf dem richtigen Weg: unser Team in der Ukraine verlegt gefährdete Patient*innen in sichere Krankenhäuser. Foto: CADUS

Über die Suche nach dem richtigen Weg Die CADUS Emergency Response im Ukraine Krieg

Erst haben wir gehofft: es geht nicht los. Dann haben wir gedacht: vielleicht dauert es nicht lang. Nun ist der hundertste Tag des Angriffs-Kriegs Russlands auf die Ukraine verstrichen, und es ist kein Ende in Sicht.

CADUS ist mit zwei Ambulanz-Fahrzeugen vor Ort und koordiniert medizinische Evakuierungen über die Grenze hinweg mit bis zu 5 Organisationen und 50 Rettungsfahrzeugen. Wie wir zu dieser Aufgabe gekommen sind, wie die zugrundeliegenden humanitären Strukturen funktionieren, und warum eine Antwort auf die Frage „wie weiter“ nicht ganz einfach ist, davon handeln die folgenden Zeilen.

Stell dir vor, du arbeitetest in der humanitären Hilfe, und neben dir bricht ein Krieg aus…

Am 24. Februar 2022 griff Russland die Ukraine an, und ab da standen unsere Telefone nicht mehr still. Wir sprachen mit verschiedenen möglichen Kooperationspartner:innen, um den sinnvollsten Weg zu identifizieren, auf dem wir Hilfe leisten können. Keine leichte Aufgabe, die ganzen Anfragen an uns einzuordnen, und zu entscheiden, in welche Richtung wir weiter gehen. „CADUS, ihr wart doch schon in Kriegsgebieten aktiv, oder seid es immer noch, ihr kennt euch doch mit so einer Situation aus…?“

Tatsächlich ist es so, dass wir bisher um Kriegshandlungen, bei denen der Luftraum nicht gesperrt ist und laufend Raketeneinschläge drohen, einen großen Bogen gemacht haben. Und auch bezüglich vieler anderer Aspekte lassen sich unsere Einsätze im Irak und in Nordost-Syrien nicht mit der Situation in der Ukraine vergleichen. Bisher verfügten wir hier über keine langfristig gepflegten Kooperationen, wir konnten unsere Partner:innen vor Ort nicht fragen: was braucht ihr? Wie können wir euch unterstützen, damit ihr besser die aktuelle Lage bewältigen könnt?

Nur durch die professionelle Zusammenarbeit vieler Akteure ist ein Patiententransport über viele Zwischenstationen überhaupt möglich. Hier wird ein kleiner Patient am Ende der Rettungskette per Flugzeug zum Zielkrankenhaus geflogen. Foto: CADUS

Wir mussten also erst viele Informationen sammeln und die Struktur unserer Emergency Response so anpassen, dass sie den Anforderungen eines möglichen Einsatzes in der Ukraine genügt. Gleichzeitig begannen wir, mit Grassroots-Organisationen wie Project Nadyia zu arbeiten, und führten Gespräche innerhalb der deutschen EMT-Initiative, zusammen mit dem National Focal Point beim RKI.

EMT: die humanitäre medizinische Nothilfe-Struktur der WHO

EMTs sind Emergency Medical Teams, die einem von der World Health Organization festgelegten Qualitätsstandard entsprechen. Bittet bei einer Krise oder Katastrophe der betroffene Staat die WHO um medizinische Unterstützung, so können internationale Teams über den EMT-Mechanismus in den Einsatz gehen und werden vor Ort durch die EMT Coordination Cell (EMTCC) unterstützt. Die Qualitätsstandards, die die Teams bezüglich ihrer personellen Kapazität, Ausstattung, und verschriftlichter Handlungsanweisungen (Standard Operating Procedures, kurz SOPs) erreichen müssen, sind für Naturkatastrophen und ähnliche Krisen im Blue Book festgelegt. Für Einsätze in Kriegsgebieten gilt ergänzend das Red Book, an dessen Erstellung CADUS mitgewirkt hat.

Aus der gesamten Ukraine, aber vor allem aus den östlicheren Gebieten werden Patient*innen verlegt, um ihre Sicherheit und Versorgung garantieren zu können. Foto: CADUS

Die strikten Vorgaben sollen verhindern, dass wohlmeinende aber schlecht vorbereitete Teams einer betroffenen Region eher zur Last fallen und Schaden anrichten, anstatt zu helfen. Die Hilfe soll außerdem optimal auf die Bedarfe vor Ort angepasst und zugeordnet werden. Ein sinnvoller Mechanismus, der in der Realität aber auch seine Tücken haben kann. So kommt es immer wieder vor (nicht nur in der Ukraine), dass voll ausgestattete, autarke EMTs mit großem logistischen Aufwand sich an einem Ort aufgestellt haben, an dem dann doch entgegen erster Einschätzung kaum Bedarf an ihrem Angebot besteht. Den richtigen Weg zu finden, ist für niemanden leicht in einer plötzlich auftretenden, massiven Krise. Das schließt etablierte humanitäre Organisationen mit ein.

CADUS‘ erste Schritte in der Ukraine

Am 17. März 2022 ging es für uns los: unser mit EMT-Equipment bepackter Transporter und der bereits bewährte Geländewagen rollten vom Hof unseres Hauptquartiers in Berlin. Bald darauf folgte die kurzfristige erworbene Allrad-Ambulanz. Nur durch die großartige Teamarbeit von Haupt- und Ehrenamtlichen zu allen erdenklichen Tages- und Nachtzeiten konnten wir die Fahrzeuge so schnell in den Einsatz bringen.

Auch zu später Stunde sind unsere Teams noch im Einsatz. Foto: CADUS

Angekommen in der Ukraine, beratschlagten wir sowohl mit den kriegsbedingt neu aufgestellten humanitären Strukturen vor Ort als auch mit den auf Hochtouren arbeitenden, etablierten ukrainischen Gesundheitseinrichtungen, wo wir am besten helfen können. MEDEVAC (medizinische Evakuierung) direkt im Kampfgebiet? Oder doch lieber einen kleinen medizinischen Versorgungspunkt mit unseren EMT-Zelten aufbauen kurz vor Lviv? Wir haben nach einem Weg gesucht, den durch die Notsituation plötzlich entstandenen Mehrbedarf in der medizinischen Versorgung abzudecken, ohne durch unseren „Service“ von Außen das ukrainische Gesundheitssystem unbeabsichtigt in eine neue Abhängigkeit zu führen. Lokale Strukturen in der Krise kurzfristig stützen, bis sie alle Aufgaben wieder selbst bewältigen können, lautet die Maßgabe der humanitären Notfallhilfe.

Medical Evacuation und die Frage des Privilegs

Heute sind wir nicht an der Front im Einsatz, und unsere Zelte für das EMT-Camp sind sicher eingelagert. Die Lücken, die wir zusammen mit der WHO und dem ukrainischen Gesundheitsministerium identifiziert haben, sind diese: aufgrund des Krieges können viele Patient:innen vor allem im Osten der Ukraine nicht mehr die Art der medizinischen Versorgung erhalten, die sie benötigen. Sie müssen verlegt werden, oft über die westliche Grenze in andere europäische Staaten. Doch aufgrund der Kriegssituation und den veränderten Rechtsvorschriften dürfen weder ukrainische Ambulanzen über die Staatsgrenze fahren, noch dürfen Männer im wehrpflichtigen Alter die Ukraine verlassen. Wie streng das gehandhabt wird, mussten wir bei unserer ersten MEDEVAC-Fahrt nach Polen erfahren: es hat uns viel Überzeugungsarbeit an der Grenze gekostet, unseren halbseitig gelähmten, aber männlichen Patienten zur Behandlung in ein EU-Land überführen zu dürfen. Außerdem ist der Rettungsdienst in der Ukraine größtenteils nicht dafür ausgebildet und ausgestattet, um intensivpflichtige Patient:innen über längere Strecken zu transportieren. Das gilt insbesondere für beatmete Patient:innen.

Mit einem Großaufgebot von Rettungsfahrzeugen einer Vielzahl von Organisationen wird eine Massenverlegung von Patitent*innen ermöglicht. Foto: CADUS

Wir sind als internationales Team privilegiert, weil unseren eigenen Herkunftsländern und Wohnorten kein Krieg aufgezwungen wurde, und wir uns relativ frei bewegen können. Da ist es wieder, das Privileg der humanitären Helfer:innen: frei zu entscheiden, ob wir bleiben oder gehen, während die, denen wir Unterstützung anbieten, häufig keine Wahl haben. Viel Zeit, darüber zu sinnieren, bleibt in diesem Einsatz allerdings nicht: die langen Krankentransporte sind kräftezehrend. Pausen gibt es kaum: in Lviv kommen immer wieder Züge mit noch nicht versorgten Verletzten aus dem Osten der Ukraine an. Auch hier stellt das Team von CADUS einen wichtigen Teil der Rettungskette.

Wir arbeiten mittlerweile vor Ort mit vielen großartigen Partner:innen zusammen, die ebenfalls MEDEVACS durchführen: SP,GRM,IRT. Doch zu Beginn waren wir eine der wenigen Organisationen, die eine entsprechende Rettungskapazität mitbrachte, und die nichts unversucht lassen wollte, die vorhandenen Kräfte vor Ort optimal zu bündeln. So erging an uns am 15. April der Auftrag der WHO, zusammen mit der Rettungsleitstelle Lviv das aktuelle MEDEVAC-System aufzubauen, inklusive Etablierung von Kommunikationswegen und Standards, sowie der UN Trauma and Rehabilitation Technical Working Group in der Ukraine zuzuarbeiten. CADUS hat sich als erste und nach wie vor einzige Organisation aus der deutschen EMT-Initiative im aktuellen Ukraine-Krieg vor Ort in der Nothilfe engagiert, und koordiniert jetzt alle offiziellen MEDEVAC-Fahrten internationaler Rettungsorganisationen zwischen der Ukraine und umliegenden Staaten.'

Der Transport per Flugzeug ist die schnellste Möglichkeit Patient*innen sicher und stressarm in ein Krankenhaus außerhalb der Ukraine zu verlegen. Foto: CADUS

Es ist noch einiges offen

Intensive Wochen liegen hinter uns, und wahrscheinlich noch viele mehr vor uns. Während in Europa die Nachrichten über den Krieg im Osten langsam zur täglichen Normalität werden, nimmt für uns im Einsatz das Tempo stetig zu: immer neue Anfragen gibt es an CADUS. Und obwohl uns klar ist, dass wir nicht allen nachkommen können, so fällt es doch manchmal schwer, entsprechende Entscheidungen zu treffen. Da ist sie wieder, die Frage nach dem richtigen Weg. Wenn überhaupt, dann kann sie nur im Rückblick vollends beantwortet werden. Und bis wir einmal auf diesen Krieg zurückblicken können als ein Ereignis, das in der Vergangenheit liegt, wird wohl noch viel Zeit vergehen.

Bitte seht uns nach, wenn wir gerade nicht alle eure Anfragen beantworten können. Wir haben momentan wirklich sehr sehr viel zu tun. Aber wir freuen uns wahnsinnig über eure Unterstützung! Ob als medizinische Fachkraft mit uns im Einsatz, oder mit einer kleinen Spende: alle Hilfe ist willkommen, und ermöglicht es uns, weiterzumachen.

Veröffentlicht:
Verfasser*in: von Corinna Schäfer

by CadusPR

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