Zwischen Ruhe und Sturm

Paramedic Malte mit Einsichten über den Alltag und den ganz normalen Wahnsinn in unserem TSP in Mossul. Alle Fotos: Kenny Karpov

Der Rucksack ist gepackt und platzt aus allen Nähten. Es gibt Kaffee – Kenny und Michael, die in der Nacht angekommen sind, sitzen auch schon am Tisch. Die Luft steht still, bei 35 °C und das sollte sich noch als sehr mild erweisen. Das Amt, welches die Betretungserlaubnis für Mossul vergibt hat über das Wochenende eine Auszeit genommen. Aber unser „Fixer und Driver“ hat das Problem geklärt und schon sitzen wir im Auto auf dem Weg nach Mossul. Von Checkpoint zu Checkpoint immer mehr Zerstörung. Beeindruckend ist, dass an der einen Ecke gekämpft und auf einer anderen Ecke schon mit dem Wiederaufbau begonnen wird.

Beim TSP (Trauma Stabilization Point) angekommen ist es zum Glück gerade Ruhig und wir haben die Möglichkeit das Team und den „Arbeitsplatz“ in Ruhe kennenzulernen. Der erste Schwung Patient*innen welchen ich zu Gesicht bekam, sollen Betroffene eines Chlorgasangriffs gewesen sein. Nachdem diese versorgt und in Krankenhäuser geschickt wurden kam mehr Stress auf. Eine Mörsergranate bescherte uns vier Patient*innen übersät mit Schrapnellen. Von Fleischwunden über Amputationen und Verbrennungen bot sich alles vor- und unvorstellbare.

Der Blick aus unserem TSP auf das zerstörte Mossul. Foto: Kenny Karpov

Der Krieg zeigt seine Fratze
In der Nacht werde ich von „Tiger“ unserem Übersetzer geweckt, es sei ein Soldat im TSP angekommen. Alle anderen schlafen und ich beschließe mir erstmal zusammen mit Tiger ein Bild zu machen. Wie sich herausstellt ist er von einem Dach gefallen aber stabil. Tiger und ich versorgen den Patienten alleine bis zum Transport ins Krankenhaus und im Anschluss versuche ich mich mit Musik in den Ohren in den Schlaf zu wiegen.

Der nächste Tag ist geprägt von vielen Patient*innen, da die irakische Armee eine Großoffensive gestartet hat. Im Stundentakt bekommen wir Ladungen von Patient*innen und versuchen nebenbei noch kleine Probleme im Privatbereich, wie eine Überschwemmung oder die instabile Internetverbindung, zu lösen. Auch die Kühlung der Getränke funktioniert nicht richtig, die als kleines Zugeständnis für die Erhaltung der Moral im TSP aber unersetzlich ist.

Leider ging es im TSP nicht so gut aus wie mit den kühlen Getränken und dem Internet. Zwei Wellen mit Schwerverletzten, darunter viele Kinder und Jugendliche, hielten uns in Atem. Trotz aller Versuche ging es für zwei Kinder nicht gut aus, was mich innerlich sehr belastete. Allerdings blieb mir nicht viel Zeit um darüber nachzudenken.

Malte mitten in der Behandlung einer verletzten Frau. Foto: Kenny Karpov

Zu dem Zeitpunkt wurde einem die Grausamkeit von Kriegen bewusst. Keine Naturkatastrophe hat zu diesen Verletzungen geführt, sondern Menschen tun anderen diese Dinge an. Wir kämpfen mit minimaler Ausrüstung gegen die große Kriegsmaschinerie. Und es fällt an dem Tag auf, dass es viel mehr zivile Opfer sind als noch am Vortag. Und wie jeden Tag hören wir, dass in spätestens drei Tagen alles vorbei sei. Ein sehr sarkastischer Running-Gag in Anbetracht dessen was wir hier jeden Tag sehen und erleben.

Ein Zwischenfall, der uns daran erinnert, dass man immer wissen sollte wo seine Sicherheitsausrüstung liegt, hat uns eine Drohne beschert. Außerhalb der Garage nicht endende Schüsse und Rufe auf arabisch, die wir nicht verstehen. Überlegungen, ob wir den Fluchtweg nehmen oder nicht. Dann doch warten, dann wieder Schüsse. Dann Ruhe. Alles ist sicher. Das irakische Militär hat nur versucht die Drohne abzuschießen. Wir sind beruhigt als wir sehen, dass keiner der Soldaten gestresst wirkt, eher wie kleine sich freuende Kinder toben sie über den Vorplatz und versuchen die Drohne zu treffen.

Malte diskutiert mit dem Major der irakischen Armee. Foto: Kenny Karpov

Zwischen Ruhe und Sturm
Die folgenden Tage beginnen recht ruhig, was ein wenig darauf hin deutet, dass nun vielleicht doch die letzten Tage des Krieges angebrochen sind. Natürlich habe ich die Erfahrungsberichte der vorherigen Teams gelesen und stelle fest, dass es zur Zeit zum Glück nicht so heftig ist wie in den Wochen zuvor. Es bleibt immer mal wieder ein Moment der Ruhe mit dem Team.

Wenn Zivilist*innen kommen, dann überwiegend Frauen und Kinder aus der Altstadt, die zu Fuß und geschwächt bis zu zwei Tage unterwegs sein können. Daher entsteht die Idee sich zu splitten und in Frontnähe ein „Mini-TSP“, zumindest für eine Vorsortierung der Patient*innen, zu etablieren. In den nächsten Tagen versuchen wir unter Beteiligung eines weiteren TSP unsere Möglichkeiten dahingehend zu erkunden. In unserem TSP merken wir, dass die Verwundungen abnehmen, aber die Dehydration und Unterernährung der Patient*innen zunehmend zu einem Problem werden. Zwischendurch dann trotzdem wieder Schwerstverletzte, sowohl Soldaten als auch Zivilist*innen.

Wenn es mal ruhiger wird versucht sich das Team etwas auszuruhen für den nächsten Einsatz. Foto: Kenny Karpov

Ein schöner Tag in Mossul ist ein Tag an dem alle morgens beim Kaffee zusammen sitzen können und keine Verletzten zu sehen sind. Dabei verliert man in dem Staub auch das Gefühl von Zeit. Ein Tag fühlt sich an wie eine ganze Woche. Dazu der ständige Wechsel zwischen gemeinsamem Zusammensitzen und dem Elend, herbeigeführt durch Granaten, Explosionen und Schüssen. Der ständige Kampf gegen das niedrige Versorgungsniveau der Armee strengt zusätzlich an. Außerdem sollte man Wasser trinken nicht vergessen – bei Temperaturen um die 50 Grad eine Kleinigkeit, die nicht zu verachten ist.

Kein Ende in Sicht
Und jeden Tag auf ein Neues die Info, dass heute die Operation beendet wird. Trotzdem ist es immer wieder schwerer als gedacht. Zwar ist spürbar, dass es irgendwie ruhiger wird, seltener kommen Schwerverletzte bei uns an, doch ein Ende ist nicht in Sicht. Leichter verletzte Kinder, denen man mit Keksen ein Lächeln entzaubern kann sind eine sehr willkommene Abwechslung. Das Bild im und um das TSP hat sich etwas verändert, überwiegend seit Wochen unterversorgte Frauen und Kinder kommen zu uns, akute Verletzungen werden seltener. Immer wieder kommen auch Zivilist*innen mit großen Verletzungen, die sich als Sekundärschäden herausstellen, verursacht durch bei Bombardements eingestürzte Häuser. Der Tod eines Jungen, der mit seiner Familie gebracht wird, bricht mir das Herz. Trotz aller Bemühungen in der Aufnahme des Krankenhauses stirbt er, obwohl mir zuvor sein Vater noch so sehr gedankt hat, dass ich seinen einzigen Sohn gerettet habe. Der erste Moment, nachdem ich einige Stunden brauchte um wieder normal zu funktionieren.

Ein Fazit nach acht Tagen kann ich nicht ziehen, der Weg nach Hause fühlt sich eigenartig an. Das Team ist gut zusammengewachsen und dann sieht man den Gegensatz zwischen den zerstörten Häusern von West-Mossul und dem geschäftigen Treiben im Osten der Stadt. Durch die Checkpoints geht es zurück nach Erbil. Doch die Gedanken hängen nach. Die ständige Frage, wie können Menschen anderen Menschen so etwas nur antun begleitet mich bis nach Deutschland ins eigene Bett. Und dann die Frage: Würde ich es wieder tun? Und auch wenn ich viel darüber grübele, die Antwort ist Ja!

Bei all den negativen Erfahrungen, die die Arbeit in einem Kriegsgebiet mit sich bringt, macht es Freude den Menschen helfen zu können. Foto: Kenny Karpov

Veröffentlicht:
Verfasser*in: von Jonas Grünwald

by CadusPR

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