Intervention in der humanitären Krise an der polnisch-belarussischen Grenze
Seit September 2021 eskaliert eine humanitäre Krise an der polnisch-belarussischen Grenze. CADUS unterstützt die lokalen Strukturen, die unermüdlich daran arbeiten, das Leben und die Rechte der People on the Move („Menschen auf der Flucht“) zu schützen.
Politik und Militarisierung
Die in Europa herrschende Anti-Migrations-Stimmung und den Rassismus gegenüber Geflüchteten nutzt das belarussische Regime aus, um politischen Druck auf die Europäische Union auszuüben und sich für die von ihr verhängten Sanktionen zu rächen. People on the Move werden von Belarus aus gewaltsam über die polnische Grenze gedrängt, wo sie dann oft mit ähnlicher Gewalt zurückgeschoben werden.
Die von der polnischen Regierung ergriffenen Maßnahmen, um Migration zu stoppen, sind drastisch: Ausrufung des Ausnahmezustands, Errichtung einer Sperrzone („rote Zone“) bis zu drei Kilometer landeinwärts von der Grenze aus, und Militarisierung dieser Zone. Kaum jemand darf sie betreten, nicht einmal humanitäre Organisationen. Nur Anwohner:innen und wenige, von den Grenzbehörden handverlesene Journalist:innen, dürfen hinein. Weiter im Landesinneren errichtet die Polizei Check-Points um Autos nach People on the Move zu durchsuchen, die es eventuell durch die rote Zone geschafft haben.
Mehrfache Verletzung der grundlegenden Menschenrechte
Lokale Initiativen wie Grupa Granica beobachten die Situation genau (ihr detaillierter Report ist hier nachzulesen). Ihnen zufolge werden die People on the Move absichtlich in lebens- und gesundheitsbedrohliche Situationen gebracht: sie sind vom Zugang zu sauberem Wasser, Nahrung, medizinischer Versorgung und anderen Formen der Grundversorgung abgeschnitten. In Europas ältestem und unwegsamen Urwald Europas, in dem sie festsitzen, bricht nun ein strenger Winterherein. Einige von ihnen stecken seit Wochen in dieser Situation und erleben auf beiden Seiten der Grenze multiple push-backs (illegale Zurückdrängung).
Viele der People on the Move kommen aus vom Krieg gezeichneten Gebieten. Sie sind auf der Suche nach Schutz in der Europäischen Union, ein grundlegendes Menschenrecht. Eine Chance, einen Asylantrag einzureichen, gibt es allerdings erst mit Unterstützung von Anwält:innen, Politiker:innen und den Medien. Nur bei Anwesenheit dieser Zeug:innen nehmen die Grenzbeamt:innen überhaupt einen Antrag entgegen. Tragen die Asylsuchenden alleine ihr Anliegen bei den Uniformierten vor, so werden sie sofort und ohne Prüfung ihres Antrags nach Belarus zurückgeschoben. Der Weg nach Hause ist ihnen allerdings versperrt: Häufig werden sie wieder zurück nach Polen gedrängt. Dabei erfahren sie oft physische Gewalt, ihr Eigentum wird geraubt oder zerstört.
Auf der Suche nach Menschen die Hilfe benötigen finden wir viele dieser verlassenen Lager im Wald. Foto: CADUS
Körperliche Angriffe und medizinische Probleme
Aktivist:innen der Grupa Granica dokumentieren, was die Menschen im Wald an der Grenze erleben. Alan aus Syrien erzählt:
"Wir wurden vom belarussischen Militär heftig verprügelt. Sie benutzten Schaufeln um uns zu schlagen. Wir konnten uns danach nicht mehr bewegen, unsere Rippen waren gebrochen. Wir konnten uns vor lauter Gewalt nicht mehr auf den Beinen halten." Und er wurde Zeuge weiterer Gewalt: "Sie haben uns mit Hunden angegriffen, die unsere Kleidung zerrissen und uns gebissen haben."
Polnische medizinische Dienste bestätigten laut Grupa Granica, dass sie bei der Behandlung der Menschen aus dem Wald zahlreiche Verletzungen und Fälle von lebensbedrohlicher Unterkühlung feststellen.
Mel, ebenfalls aus Syrien, erzählt: "Die polnische Armee zwang mich, in den Fluss zu springen. Ich sagte ihnen, dass ich nicht schwimmen kann. Er richtete seine Waffe auf mich und stieß mich in den Fluss. Es war sehr kalt."
Humanitäre Hilfe an der polnisch-weißrussischen Grenze
Grupa Granica versorgt die im Wald festsitzenden Menschen mit warmer Suppe, trockenen Socken, Grundnahrungsmitteln und Decken. Die Gruppe organisiert Rechtshilfe für diejenigen, die in Polen Asyl beantragen wollen. Und sie suchen nach den Vermissten. Es sind in dem Gebiet bereits mehrere Todesfälle zu beklagen.
In den letzten Wochen war CADUS mit der Grupa Granica in Kontakt und hat mit ihr zusammen den Bedarf an spezifischer medizinischer und kommunikationstechnischer Ausrüstung ermittelt. Die entsprechenden Sachspenden haben wir in unserem Crisis Response Makerspace gesammelt. Als die Weihnachtsfeiertage näher rückten, wurde uns ein neuer Bedarf mitgeteilt: Medics! Dank unserer gut vorbereiteten und spontanen Ehrenamtlichen waren wir in der Lage, sofort ein kleines Team zu schicken. Unsere Ärztin Josephine hält sich rund um die Uhr bereit, falls ein medizinisches Problem über das örtliche Alarmtelefon gemeldet wird. Wenn ein Anruf eingeht, begleitet sie die Aktivist:innen in den Wald, um eine medizinische Grundversorgung zu gewährleisten. Nach ihrem ersten Einsatz war sie besorgt, wie die Menschen die nun sehr kalten Nächten mit Temperaturen um -10 °C überstehen würden
Ärztin Josephine sortiert gespendetes Verbandsmaterial und bereitet einen weiteren humanitären Einsatz vor.
Eine Änderung der aktuellen Situation drängt
Wir sind froh, die lokalen Strukturen unterstützen zu können. Dennoch muss sich die Situation dringend ändern:
Medizinischen und humanitären Organisationen muss es erlaubt sein, in der Sperrzone zu arbeiten. Die Rechte und die Würde der People on the Move müssen von allen beteiligten Parteien respektiert und gewahrt werden. Das Engagement der Anwohner:innen und Aktivist:innen ist beeindruckend. Trotzdem ist es von entscheidender Bedeutung, dass alle beteiligten Behörden ihren rechtlichen Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten nachkommen und dass die Europäische Union entsprechende Schritte geht, nachdem viele ihrer Gemeinden erklärt haben: Wir haben Platz!
Veröffentlicht:
Verfasser*in: von Cadus PR
by CadusPR
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Vor wenigen Tagen hat unser Team in Rafah, Gaza den tausendsten Patienten im Trauma Stabilisation Point (TSP, also ein Versorgungspunkt für Schwerverletzte) vom Palästinensischen Roten Halbmond (PRCS) versorgt. Fast ein Drittel unserer Patient*innen ist dabei unter 18 Jahre alt.