Zwischenstopp Sarajevo
Eine Fotoreportage von Christoph Löffler über Flucht und Unterbringung zum 18. Internationalen Tag der Migranten*innen.
Ein Text über den Versuch Menschen zu helfen.
Und ein impliziter Spendenaufruf.
Die Balkanroute, eine Fluchtroute für viele Menschen aus Marokko und Algerien. Für die meisten der Menschen, die sich auf diese beschwerliche Reise machen, endet der Weg an der kroatischen Grenze. Von Push-Backs ist die Rede, also von kollektiven Zurückweisungen ohne Prüfung der individuellen Umstände der einzelnen Betroffenen. Ein Vorgehen, welches einen Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention bedeutet.1
Von der Grenze nach Bosnien zurückgeschickt und unter anderem in Sarajevo gestrandet, landen viele der Flüchtenden auf der Straße. Ein kleines Netzwerk von Organisationen baut notdürftige Schlafmöglichkeiten in der Stadt. Anfang Dezember gab es 25 sogenannte Squats in denen die Menschen untergebracht waren. Es sind keine offiziellen Unterbringungen, sondern selbst hergerichtete Räume in baufälligen Häusern oder in Bauruinen. Fenster wurden mit Plexiglasscheiben und Bauschaum provisorisch repariert, um vor der Kälte zu schützen. Türen in den Häusern gibt es nicht und Decken oder zugeschnittene Teppiche übernehmen diese Funktion. Die Gruppe AidBrigade organisiert selbstgebaute Öfen und installiert diese in den Häusern, um die kleinen Zimmer warm halten zu können. In vielen dieser Räume steht der Rauch. Holz wurde durch Spendengelder finanziert und regelmäßig auf die verschiedenen Squats verteilt. Strom und sanitäre Anlagen sucht man vergebens. Das geben die Häuser nicht her. Vereinzelt sind in ungeheizten Räumen der Häuser Waschstellen zu finden. In den Häusern zu kochen ist ein Wunschtraum.
Mitarbeiter*innen von BASIS Bosnia interviewen die Neuankömmlinge in den einzelnen Häusern und fragen sie nach ihren Erfahrungen während ihrer Flucht Richtung EU. Viele Berichten von Push-Backs und von schlechten Erfahrungen mit der kroatischen Polizei. Durch Schüsse in die Luft gestoppt und festgesetzt, werden Telefone beschlagnahmt oder zerstört, um zu verhindern, dass sie sich via GPS orientieren können. Einige berichten von körperlicher Gewalt und andere erzählen, dass ihnen ihre Schlafsäcke abgenommen wurden.
BASIS Bosnia erfragt auch, ob die Menschen warme Schuhe besitzen, genügend Kleidung für den Winter haben, ob sie weitere Decken für die kalten Nächte oder medizinische Hilfe benötigen.
Ich habe die Organisation bei ihrer Evaluation in einige der Squats begleiten dürfen. Dort habe ich die Menschen gefragt, ob ich von ihrer Situation berichten und diese mit einem Foto festhalten dürfe. Die Reaktionen waren unterschiedlich. Viele wollten nicht, dass sie in solch einer sowohl intimen als auch “unehrenhaften” Situation fotografiert werden. Andere wiederum nahmen es gelassen und freuten sich über mein Interesse als Fotograf.
Sarajevo ist eine schöne Stadt. Die kurzen Wege zu den Unterkünften zeichnen ein diverses und gemütliches Stadtbild. "Allah ist am Größten"- Verse aus den Minaretten werden vom Läuten der Kirchenglocken abgelöst. Verschiedene Baustile vereinen sich hier, von alten Fachwerkhäusern in der Altstadt bis hin zu imposanten Plattenbauten. Nach verregneten Nächten kann man auf eine gute Aussicht hoffen, da so der Smog für kurze Zeit aus der Luft gewaschen wurde. Die Berge, die die Stadt umgeben, und ein breiter Fluss im Tal zeichnen an solchen Tagen malerisches Bild. In der Stadt sind noch Spuren des Krieges zu sehen. Einschusslöcher in Häusern sind keine Seltenheit.
Aus der Bevölkerung kommt viel Unterstützung für die flüchtenden Menschen. Ein ansässiger Zahnarzt arbeitet eng mit CADUS e.V. zusammen, um medizinische Behandlungen für Zahnschmerzgeplagte zu ermöglichen. Ein Stoffhändler mit Unternehmenssitz in Sarajevo hat sich bereit erklärt, warme Schlafsäcke zu nähen und diese für den Einkaufspreis an BASIS Bosnia zu verkaufen, damit sie die Menschen in den Squats erreichen.
Es regt sich etwas in der Stadt. Ein Teil der Bevölkerung unterstützt die festsitzenden Menschen. Viele von ihnen haben am eigenen Leib erfahren, was Krieg und Flucht bedeuten kann.
Wenn es die vielen Organsiationen wie BASIS Bosnia, AidBrigade und Helfer*innen aus der Stadt nicht geben würde, wäre Sarajevo sicherlich schon längst durch andere Schlagzeilen bekannt geworden. Was aber nicht bedeutet, dass es nicht ausgeschlossen ist, denn der Strom der Menschen lässt nicht nach.
Auch CADUS leistet mit der medizinischen Hilfe einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Situation. Auf dass die solidarische Arbeit nicht mehr notwendig sein muss. Auf dass die Geschichten, die meine Fotos erzählen, bald der Vergangenheit angehören.
1.) ARD Tagesschau Bericht vom 16.12.2018 – / https://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-484113.html
alle Fotos: Christoph Löffler. Die Bilder zeigen verschiedene leerstehende Gebäude in Sarajevo, Bosnien-Herzegowina, die von Geflüchteten bewohnt werden. Dezember 2018
Veröffentlicht:
Verfasser*in: von Jonas Grünwald